Microsoft, Karim Khan und die digitale Souveränität: Ein Weckruf – oder ein Missverständnis?
Die Nachricht schlug hohe Wellen: Microsoft habe das E-Mail-Konto von Karim Khan, dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), gesperrt – angeblich als Folge von US-Sanktionen gegen das Gericht. Medien wie heise online und Golem berichteten, dass Khan dadurch gezwungen gewesen sei, zu einem altarnativen Anbieter wie ProtonMail zu wechseln



Die Open Source Business Alliance (OSBA) sprach gar von einem „Weckruf“ für Europas digitale Souveränität
Doch wie eindeutig ist der Fall wirklich?
Microsoft widerspricht: Kein Dienststopp für den IStGH
In einem Interview mit Politico stellte Microsoft-Präsident Brad Smith klar: „Microsoft hat seine Dienste für den Internationalen Strafgerichtshof zu keinem Zeitpunkt eingestellt oder ausgesetzt“
Zwar wurde das E-Mail-Konto von Karim Khan „disconnected“, doch laut Microsoft geschah dies im Rahmen der US-Sanktionsvorgaben gegen Einzelpersonen – nicht gegen die Institution IStGH selbst. Der Konzern betont, dass man während des gesamten Prozesses in Kontakt mit dem Gericht geblieben sei und keine generelle Dienstunterbrechung stattgefunden habe
Diese Differenzierung ist entscheidend: Es geht nicht um eine vollständige Blockade des IStGH, sondern um die Umsetzung einer gezielten US-Sanktion gegen eine Einzelperson – eine Maßnahme, die Microsoft rechtlich kaum umgehen konnte.
Digitale Souveränität bleibt ein Thema – aber auf anderer Ebene
Unabhängig davon, ob Microsofts Verhalten rechtlich nachvollziehbar war, bleibt die Debatte über digitale Abhängigkeiten berechtigt. Der Vorfall zeigt, wie verwundbar internationale Institutionen und europäische Staaten sind, wenn sie auf US-amerikanische Cloud- und Kommunikationsdienste angewiesen sind. Die Angst vor einem „Kill Switch“, den ein US-Präsident theoretisch auslösen könnte, ist nicht unbegründet – auch wenn Microsoft betont, sich künftig vertraglich gegen solche Eingriffe zu wehren
Fazit: Zwischen Realität und Symbolik
Die ursprüngliche Darstellung, Microsoft habe dem IStGH „den Stecker gezogen“, greift zu kurz. Vielmehr handelt es sich um eine komplexe Gemengelage aus geopolitischem Druck, rechtlichen Zwängen und technischer Infrastruktur. Microsoft hat nicht den IStGH als Institution blockiert, sondern auf eine US-Sanktion gegen eine Einzelperson reagiert – und das offenbar in enger Abstimmung mit dem Gericht.